Minsk, Venedig und andere diplomatische Schlauheiten

l-125964Über die ungünstige Lage, in die sich Kiew gebracht hat.

25.06.2015  Übersetzt aus dem russischen: Thomas

Den Sieg im Krieg kann man auch ohne Mitwirkung der Armeen erreichen, obwohl die meisten Siege immer noch in blutigen Schlachten erreicht werden. Aber die Ergebnisse des Sieges ohne erfolgreiche und professionelle Diplomatie zu festigen -das ist unmöglich. Es kommt vor, dass man hinter dem Tisch der Verhandlungen bei der Nachkriegsregelung alles verliert, was in den Kämpfen erworben wurde. Deshalb ist es äußerst wichtig, die Bedingungen für die zukünftigen diplomatischen Siege noch im Laufe der heissen Phase des Konfliktes zu schaffen.

Schließlich, wenn der große Sunzi behauptete, der Krieg – das ist der Weg des Betrugs, dann ist die Diplomatie – der Weg des konzentrierten Betrugs. Wobei, das alles öffentlich geschieht, alles wird vielfach fixiert, eingeschrieben, wird avisiert, abonniert, parafiert und schließlich ratifiziert, den Opponenten betrügen ist gar nicht so einfach, besonders weil man nicht beim Lügen erwischt werden darf. Es kann schließlich nicht sein, dass jeder beliebige unabhängige Beobachter beurteilen kann, ob man die Wahrheit sagt, nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit und immer und überall und ob Sie oder Ihr Opponent daraufhin in allem schuldig erscheint oder nicht.

In diesen Tagen hat die russische Diplomatie heftig (wenn auch nicht nach der Sichtweise der breiten Öffentlichkeit) nach dem Sieges gestrebt. Und was besonders angenehm ist, mit fremden Händen.

Die Venedig – Kommission (Die Venedig-Kommission – eine Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) ist eine Einrichtung des Europarates, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Eigenen Angaben zufolge spielt sie „eine führende Rolle, wenn es gilt, in Osteuropa Verfassungen auszuarbeiten, die den Normen des europäischen Verfassungsrechtsbestandes entsprechen“. Sie ist ein solches äußerst europäisches Organ, dass die Gesetzgebung verschiedener Länder hinsichtlich der Übereinstimmung mit den europäischen Prinzipien und den Werten beobachtet und hat in der Werchowna Rada der Ukraine das Projekt der Änderungen in der Verfassung hinsichtlich der Dezentralisierung bewertet. Wie auch nicht anders zu erwarten war hat die Venedig – Kommission das Projekt insgesamt gebilligt und hat sogar ganz speziell erklärt, was ihr darin alles gefällt. Wir können der Kommission Dankeschön sagen, aber vom Gesichtspunkt der Interessen Kiews, hätten sie es besser nicht machen können

Was hat Kiew damit gewonnen?

Jetzt könnten seine Vertreter bei den Verhandlungen in Minsk lang und breit davon erzählen, dass das Projekt der Veränderungen in der Verfassung der Venedig – Kommission gefallen hat. Es ist natürlich ein wichtiges Argument, aber es wird auf niemanden Eindruck machen, denn die Verfassung der Ukraine der Ausgabe 1996 war es, die der Venedig – Kommission sehr gefiel. Nur das die jetzigen Kiewer Behörden ihre Regelungen in allen Belangen aufgehoben und durch die Verfassung 2004 ersetzt haben. Außerdem sind sie im Begriff, noch mehr Passagen des Hauptgesetzes zu tauschen. Dabei erinnern die Vertreter der DVR/LVR jedesmal daran, dass die Vorschläge zu Veränderungen in der Verfassung, um den Auflagen des Minsker Prozesses zu entsprechen, mit ihnen abgesprochen werden sollten. Das heißt, die Billigung der Venedig – Kommission kann zum Argument für die Werchowna Rada dienen, wenn gerade über diese Vorschläge abgestimmt wird, aber sie ist nur ein leeres Geräusch vom Gesichtspunkt des Verlaufs des Minsker Prozesses aus, bis die Veränderungen mit der DVR/LVR vereinbart worden sind.

Und was hat Kiew verloren?

Entsprechend das, was Russland und die ukrainischen Antifaschisten gewonnen haben?

Die ganze Anmut der Veränderungen erklärend, hat die Venedig – Kommission ausführlich genug dargestellt, wie sie gelten sollen. Jetzt kann man immerhin von Kiew fordern, dass der Text der Veränderungen dem Geist und dem Buchstaben der Erklärungen der Venedig – Kommission entsprechen soll, anstatt gar nichts sagen zu können, weil man alles noch mit der DVR/LVR absprechen muss. Das heißt, bestimmte Verpflichtungen hat Kiew schon, die DVR/LVR dagegen nicht.

Und die Erklärungen der Venedig – Kommission (WK) sind sehr interessant.

Erstens erkennt die WK selbst an, dass im Projekt der Verbesserungen die verfassungsmäßige Grundlage für die Vorschläge nicht umgesetzt ist, die auf die Regelung des jetzigen Konfliktes in der Ukraine gerichtet sein sollten. Das heißt, wie ich höher eben schon ausführte, hat Kiew nichts, um damit nach Minsk zu gehen.

Zweitens besteht die WK darauf, dass die Kontrolle der zentralen Macht über die Organe der Gemeinden drastisch verringert wird und sich auf die Kontrolle der Konstitutionalität der übergeben Akte beschränkt. Einmischungen sind ausschließlich dort möglich, wo Befugnisse von der zentralen Macht delegiert wurden. Dabei soll in der Verfassung auch die Pflicht der zentralen Macht festgelegt werden, die finanzielle Erfüllung der in die Gemeinden delegierten Funktionen zu gewährleisten. Das heißt, Kiew soll den Gemeinden einen bedeutenden Teil der Steuerbasis als Budget übergeben und dann dürfen sie sich nicht mehr in den Prozess der Entscheidungsfindung (einschließlich beim Einsatz und Verbrauch der Mittel) einmischen. Für die Kiewer Macht ist das vergleichbar mit ihrem Tod. Sie befürchten, mit tausenden Organen von Gemeinden in 27 Regionen, die finanziell und administrativ selbständig sind, separat verhandeln zu müssen.

Drittens sollen die lokalen Präfekten, nach Meinung der WK, professionelle Verwalter (Beamte) sein und keine Politiker. Es trägt zur Gründung von regionalen «Arbeitsdynastien“ bei. Es ist klar, dass in Transkarpatien die Klane Wiktor Balohas und Sergej Ratuschnjaks für unpolitische Profiverwalter kämpfen werden, für Galizien wird Tjahnybok mit Sadow kämpfen usw. Das heißt, wetteifern werden alle noch früher, aber „den Spezialisten-Verwalter“ darf man nicht für politische Unloyalität entlassen. Jetzt kann ein beliebiger lokaler Führer gegen die Politik des Präsidenten und der Regierung öffentlich auftreten. Die Verfassung gewährt ihm dieses Recht, und es ist für ihn vorteilhaft, das unpopuläre Regime zu kritisieren. Der Präsident, wie auch früher, kann den Präfekten auf Vorschlag des Ministerkabinetts entlassen. Aber die Entlassung des Beamten soll nach den Forderungen des Gesetzes über den Staatsdienst geschehen und das Gesetz ist so geschrieben, dass der, der rechtzeitig zur Arbeit kommt und rechtzeitig wieder nach Hause geht, praktisch nicht entlassen werden kann.

Viertens das Wichtigste versteckt sich in den scheinbar unwichtigen Bemerkungen darüber, dass die Venedig – Kommission ausschließlich mit der Überarbeitung der ausführlichen (kompletten) Liste der Regionen in der Verfassung einverstanden ist. Kiew steuerte diese Überarbeitung deshalb bei, um sich für den Verlauf der Verhandlungen in Minsk Handlungsfreiheit einzuräumen und die Möglichkeit auszuschließen, in die Verfassung die Regionen mit den ihnen nicht gefallenden Titeln (zum Beispiel DVR/LVR) eintragen zu müssen. Und doch wurde der Verzicht der Ukraine auf die Krim gerade dadurch erschwert, dass die ARK (Autonome Republik Krim) und Sewastopol noch in der Verfassung verzeichnet sind, wie alle Regionen der Ukraine, und eine beliebige Veränderung der vorliegenden Aufzählung in der Verfassung die Durchführung eines Referendums erfordert. Wenn erst die ausführliche Liste der Regionen nicht mehr in der Verfassung steht, dann wird auch die Veränderung der Staatsgrenzen (nicht nur der Krim) ernsthaft vereinfacht.

Natürlich wird Kiew Änderungen an der Verfassung dieser Art nicht unbedingt freiwillig vornehmen. Sie werden sogar Änderungen an der Verfassung überhaupt nicht vornehmen wollen. Besonders weil wir wissen, dass die Kiewer Behörden es fertig bringen, sogar ganz offensichtliche Sachen auf ihre eigene Art zu deuten.

Aber die Diplomatie stützt sich auf Präzedenzfälle. Erkannte Kiew die Empfehlungen der WK an? Sie erkannten sie an. Und jetzt kann man dann auch ihre Realisierung fordern. Wobei ich betonen möchte, dass man die Realisierung auch später beim Minsker Prozess fordern kann, wenn die Veränderungen mit der DVR/LVR vereinbart werden müssen. Denn vermutlich werden sie dort wieder – anstatt ihr Einverständnis zu geben – wie immer erst ihre Sache einfordern.

Und den Europäern kann man sagen: kommen Sie, lassen Sie uns zusammen von der Ukraine die Realisierung der Forderungen der Venedig – Kommission fordern. Es ist doch so schön demokratisch.

Invictus maneo!

Rostislaw Ischtschenko, den Kommentator MIA «Russland heute» – für die Freie Presse

4 Gedanken zu „Minsk, Venedig und andere diplomatische Schlauheiten

  1. Frank Gottschlich Autor

    Hat dies auf Stimme Donbass rebloggt und kommentierte:

    Bringt nun die verfassungsrechtliche Beratung der Venedig-Kommission des Europarates, für Kiew in Minsk nun dass “Fass zum Überlaufen? Wagt man nun den Großangriff auf den Donbass? Oder nimmt man klaglos auch die Schlappe in Kauf, von den Republiken DVR & LVR auch auf diplomatischem Wege “an die Wand genagelt zu werden“ Realisten wissen es. Ein weiterer Sargnagel für viele gute Donbassbewohner. Aber auch vielleicht der letzte für Poroschenko mit seiner Faschistenriege, der den Deckel dann endgültig verschließt.

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